„Die ganze Stadt ist ein Flammenmeer“

Augenzeugenbericht vom 4. Dezember 1944

Siegfried Götz im Interview – Zeitzeuge stellt sich vor, Video: HSt

Siegfried Götz im Interview – Zeitzeuge stellt sich vor, Video: HSt

Leben vor dem Krieg

Siegfried Götz, Jahrgang 1930, wohnt vor dem Krieg im Süden Heilbronns, gemeinsam mit seiner Mutter und Großmutter.
In meiner Freizeit ziehe ich mit meinen Freunden entlang der Feldwege. Dort klettern wir auf alle möglichen Bäume,“ erinnert er sich. Wie seine Freunde wird er Mitglied des Jungvolks, einer Vorstufe der Hitler-Jugend.

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Siegfried Götz - Privat Bild

Foto: Privat

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Siegfried Götz - Privat Bild

Foto: Privat

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Siegfried Götz - Privat Bild

Foto: Privat

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Siegfried Götz - Privat Bild

Foto: Privat

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Krieg

Der Ausbruch des Zweiten Weltkrieges wirkt sich auch auf die Heilbronner Jugend aus. Als damals neunjähriger Bube ist Siegfried Götz auch in der Schule ständiger Propaganda ausgesetzt. Er und seine Freunde nehmen davon beeinflusst bereitwillig in Kauf, dass sie sich in ihrem Alltag manchmal "um der guten Sache Wille" einschränken müssen.

Die Jungen gewöhnen sich an das Leben im Krieg. Immer wieder ist Fliegeralarm. Der Keller wird zum Nachtquartier umfunktioniert. „Ich schlafe auf einem Brett über den Kartoffeln“, berichtet Siegfried Götz. Die Mutter schläft über den Rüben.

Mit seiner Schulklasse wird Siegfried Götz zum Dachdecken zerstörter Häuser eingesetzt. Für 50 Pfennig pro Nacht leisten die Jungs Nachtdienst in der Schule. „Wir sind instruiert, wie man Brandbomben löscht.“

4. Dezember

Angriff auf Heilbronn am 04.12.1944; Video: HSt-Archiv

Angriff auf Heilbronn am 04.12.1944; Video: HSt-Archiv

Zeitzeuge Siegfried Götz im Interview – So begann der Angriff, Video: HSt

Zeitzeuge Siegfried Götz im Interview – So begann der Angriff, Video: HSt

Am Abend des schicksalhaften 4. Dezember 1944 ertönt gegen 19 Uhr Fliegeralarm. „Bald hören wir das tiefe Brummen der hochfliegenden Bombengeschwader. Plötzlich ist die Stadt taghell beleuchtet.“ Siegfried Götz und seine Angehörigen fliehen in den Keller. Dort liegen sie alle auf den Knien, jammernd und betend, erinnert sich der damals 14-Jährige.

Dann hört die Ballerei auf. Sie wagen sich nach oben und sehen, wie die ganze Stadt lichterloh brennt. „Die ganze Stadt ist ein Flammenmeer“ – so beschreibt es Siegfried Götz heute. Es sind Bilder, die sich ihm für immer ins Gedächtnis einbrennen.

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Nach einem halbstündigen Luftangriff brennt am 4. Dezember 1944 die Heilbronner Altstadt lichterloh. Viele Menschen kommen in dem Inferno um, weil sie nicht wissen, in welche Richtung sie laufen sollen.

Foto: Stadtarchiv Heilbronn

Foto: Stadtarchiv Heilbronn

Der Heilbronner Hauptbahnhof wird in der Nacht des 4.Dezembers ein Raub der Flammen.

Foto: HSt-Archiv

Foto: HSt-Archiv

Hotel Central am Bahnhof. Ab 19.18 Uhr fallen in 37 Minuten tonnenweise Bomben auf Heilbronner Stadtgebiet.

Foto: Stadtarchiv Heilbronn

Foto: Stadtarchiv Heilbronn

Der Tag danach

Foto: Stadtarchiv Heilbronn/HSt-Archiv

Foto: Stadtarchiv Heilbronn/HSt-Archiv

Zeitzeuge Siegfried Götz im Interview – Tote in der Stadt, Video: HSt

Zeitzeuge Siegfried Götz im Interview – Tote in der Stadt, Video: HSt

Das Südviertel kommt glimpflich davon. Doch der lodernde Feuersturm und die starke Hitze machen es ihnen unmöglich, in den Straßen und Ruinen nach ihren Verwandten zu schauen.

Ein langer trauriger Zug von Überlebenden“ zieht aus der Stadt in die umliegenden Dörfer. Unter ihnen auch Siegfried Götz und seine Mutter. Sie fliehen nach Flein zu Freunden. Dort treffen sie ihre Verwandten, die wie durch ein Wunder alle überlebt haben. Weinend liegen sie sich in den Armen.

Mit seiner Tante kehrt Siegfried Götz nochmal in die Stadt zurück. „Die vielen Toten, die da rumgelegen sind, das war grausam“, berichtet er. „Zum Teil vom Feuer zusammengeschnurrte, zum Teil aufgedunsene Leichen, mit einem Zettel am Bein mit dem Namen drauf.“ In Reihe und Glied liegen die Toten auf der Straße. Ein schlimmer Anblick für den Jugendlichen. „Wenn ich daran denke, kommen mir heute noch die Tränen.“ Die Stadt selbst ist zerbombt. „Es war alles kaputt, alles ein Trümmerhaufen.“

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Die Zahl der Toten wird auf "mehr als 6500" geschätzt, die 95 getöteten Piloten der britischen Luftwaffe sind darin nicht enthalten. Rosa Bruder aus Ellwangen hat in der Lammgasse die Leichen ihrer Heilbronner Verwandeten entdeckt.

Foto: Kanzler/HSt-Archiv

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Heilbronn nach der Zerstörung vom 04.12.1944

Foto: Stadtarchiv Heilbronn/HSt-Archiv

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62 Prozent der Gesamtstadt werden am 4. Dezember zerstört, das Zentrum fast komplett.

Foto: Stadtarchiv Heilbronn/HSt-Archiv

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Zeitzeuge Siegfried Götz im Interview – Wie geht man damit um, Video: HSt

Zeitzeuge Siegfried Götz im Interview – Wie geht man damit um, Video: HSt

Das Leben danach

Heute ist Siegfried Götz 94 Jahre alt. Er hat ein gutes Leben gelebt. Nach dem Krieg wird er Zahnarzt und heiratet. Als Hobby-Alpinist besteigt er 1980 den Kilimandscharo.

Heute hält er sich mehrmals die Woche mit Rudern fit. Doch auch 80 Jahre nach der Bombardierung auf Heilbronn kommen die grausigen Bilder manchmal zurück. Verarbeitet hat er die Erlebnisse nach eigener Aussage bis heute nicht.  

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Siegfried Götz - Privat Bild

Foto: Privat

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Siegfried Götz - Privat Bild

Foto: Privat

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Siegfried Götz - Privat Bild

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Siegfried Götz - Privat Bild

Foto: Privat

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Siegfried Götz

Foto: Ben Ferdinand

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